hobby ...die Zukunft miterleben vom 16.9.1970




Es folgt der Beitragstext, der sich auf den Aérotrain bezieht. Man beachte, dass sich im Jahre 1970 die Entwicklung der deutschen Magnetfahrtechnik noch im Anfangstadium befand und somit bei den Anwendungsüberlegungen keine Berücksichtigung finden konnte.



"Luftreise auf Schiene:

Die Lösungen sind neu und bereits praxisreif. Anfang der 50er Jahre holte der Engländer C. S. Cockerell die hundertjährige Idee des französischen Ingenieurs Girard aus der Versenkung und verkündete: "Der Aerotrain ist das Fahrzeug der Zukunft!" Der räderlose Prototyp des französischen Flugzeugwerkes Bertin jagt bereits auf dem ein Millimeter dicken Luftpolster über die 18 Kilometer lange Teststrecke bei Orléans. Seit den ersten Versuchen im Mai 1966 wurden 25000 Kilometer zurückgelegt.

Das Prinzip gleicht den Hovercraft-Schiffen (s. hobby 13/1970): Eine 720-PS-Turbine saugt Außenluft an und drückt sie in zwei Kammern unter dem 20-Tonnen-Fahrzeug, das - durch den überdruck hochgehoben - von einer Betonschiene mit T-Profil geführt wird, ohne diese zu berühren. Die Gebläseleistung ist dabei gerade so groß, um den Druck aufzubauen und die unter den flexiblen Kunststoffwänden der Kammern entweichende Luft nachzupumpen.

Vom Luftpolster getragen, sinkt die Reibung auf nahezu Null. Ganze 300 Gramm Druck gegen eine Last von drei Zentnern Gewicht reichen aus, um sie auf Preßluft zu bewegen. Dasselbe Gewicht auf Rädern muß mit einem Druck von ca. 32 Kilogramm bewegt werden.

Daher ist der Geschwindigkeit des Aérotrain theoretisch keine Grenze gesetzt. Mit einer ummantelten Heckschraube, die von zwei 1300-PS-Turbinen angetrieben wird, erreichte er bereits Spitzengeschwindigkeiten um 420 km/h.

Nach den Bertin- Plänen soll in naher Zukunft eine Version für 80 Passagiere die 118 Kilometer lange Strecke zwischen Paris und Orléans mit rund 250 km/h zurücklegen. Kopfzerbrechen bereiten allerdings die mit einer Million Mark pro Kilometer hohen Baukosten für die Betonschiene sowie die mit einem Düsenclipper vergleichbare donnernde Geräuschentwicklung.


Futur-Motor:

Das Lärmproblem könnte allerdings mit Hilfe des sogenannten Linearmotors (s. hobby 11/1968) gelöst werden. Entsprechende Versuche führen seit langem bereits Siemens in Berlin und die amerikanische Garrett Corp, durch.

Dabei werden die beiden Hauptteile des herkömmlichen Elektromotors, der rotierende Kern - Läufer genannt - und der feststehende Ständer mit den elektrisch erregten Feldspulen, an die Bedürfnisse des Schienenverkehrs angepaßt: die Schiene entspricht dem Läufer, während der Ständer hufeisenförmig um diese Schiene greift. Die Drehwirkung beim bekannten E-Motor entspricht beim Linearmotor der Vorwärtsbewegung des Zuges. Der Linearmotor wurde 1905 in Washington patentiert, doch erst die Eisenbahn- Renaissance von heute entdeckte seine Vorteile: geräuschloser und verschleißfreier Antrieb, hohe erreichbare Geschwindigkeiten sowie eine Schubleistungohne reibende Teile, weshalb die Verwendung für Luftkissenzüge möglich ist.


Projekte, Pläne:

Im Auftrag des US-Verkehrsministeriums entwickelt, soll der Garrett-Luftkissenzug mit Linearantriebauf einer 52,5 Zentimeter hohen Führungsschiene zwischen New York und Washington pendeln. Der 2500-PS-Motor beschleunigt die Alu-Konstruktion für 100 Passagiere auf rund 400 km/h. Das Leistungsgewicht liegt unter 10 kg/PS. Amerikas bislang schnellster Zug, der "Metro-liner" auf derselben Route, kommt dagegen auf 30 kg/PS. Preßluft und Elektrizität werden in wenigen Jahren zum technischen Repertoire des Schienenverkehrs gehören. In England hat Technologie-Ex-Minister Wedgewood Benn den Bauauftrag für eine 27 Kilometer lange Versuchsstrecke erteilt. Der Hovertrain soll London mit dem geplanten Flughafen Foulness verbinden. Der Fahrpreis dürfte dem heutigen 1 .-Klasse-Tarif entsprechen. Ebenso denkt man in Stockholm an eine Aerotrain-Verbindung mit dem 43 Kilometer entfernten Aeroport Arlanda, um die Fahrzeit von heute 40 auf dann nur noch zehn Minuten zu verkürzen.

Die Bundesbahn plant für ihre 400 km/h schnelle Nord-Süd-Verbindung zwischen München und Hamburg ebenfalls die Verwendung der neuen Kombinationstechnik.


Kältetechnik:

Japan schließlich geht wieder einmal einen Schritt weiter und entwickelt für die 80er Jahre einen "Super-Super-Express" (Time), der mit Linearmotor und völlig neuer Schwebetechnik den Tokaido von heute ersetzen soll. Unterirdisch geführt, wird sich der Zug magnetisch von einer Alu-Schiene abstoßen und in Millimeterhöhe schweben.

Die Magnettechnik - an der auch im amerikanischen Stanford Research Institute gearbeitet wird - beruht auf dem Prinzip, daß bei sehr niedrigen Temperaturen die Molekülbewegung nahezu aufhört. Wird ein derart unterkühltes Stück Metall magnetisiert, also elektrisch erregt, so bleibt diese Wirkung mangels Molekülbewegung sehr lange erhalten. Als Kühlmittel wollen die Japaner bei etwa 250 Minusgraden verflüssigtes Helium verwenden, das in Kammern über den Supermagneten steht.


Flugzeug-Konkurrenz:

Daß auf Mittelstrecken die Eisenbahn immer noch mit dem Flugzeug konkurrieren kann, rechnet sich auch die Deutsche Lufthansa aus: "Flugverbindungen sollen zu jeder Tageszeit gegenüber der Benutzung von Eisenbahn oder Kraftwagen einen Zeitgewinn von wenigstens eineinhalb Stunden je Richtung erbringen." Ein F-Zug zwischen Düsseldorf und Stuttgart beispielsweise ist viereinhalb Stunden unterwegs. Unter Berücksichtigung von jeweils rund 50 Minuten für den Weg zwischen City und Flughafen ergeben sich für dieselbe Strecke im Flugzeug etwa zweieinhalb Stunden. Allerdings ist die Bundesbahn ein Geschwindigkeitsmuffel - ganze zwölf Prozent der über 30000 Kilometer langen Schienenspur sind mit Geschwindigkeiten zwischen 145 und 200 km/h zu durchfahren. Allein im Fernnetz gibt es noch 1600 ständige Langsamfahrstrecken, die gleich Milchzügen größtenteils mit 50km/h durchrollt werden müssen.


Billiger:

Die neue Schienentechnik könnte die Penner- Epoche der Bundesbahn beenden und damit der Lufthansa harte Konkurrenz bescheren. Die 400-km/h-Reisezwischen Frankfurt und Hannover würde auf einer 357 Kilometer langen Aerotrain- Schiene mit Zwischenstopps etwas über eine Stunde dauern. Heute beträgt die kürzeste Reisezeit fast dreieinhalb Stunden gegenüber einer Flugdauer von eineinhalb Stunden. Sollte schließlich die Fahrkarte für den Superzug etwa einem 1 .-Klasse-Ticket entsprechen, so könnte die Luftpolster-Reise mit 50,60 DM um mehr als 25 Prozent billiger zu Buche schlagen als die Flugreise für 78 Mark. Bis dato hat sich nämlich nichts an dem entwaffnenden Satz geändert, den der Abgeordnete Dr. Mohl am 11. Juni 1873 vor dem Deutschen Reichstag sprach: "Meine Herren, Sie werden mir zugeben, daß die Rentabilität einer Eisenbahn abhängt: in erster Linie von ihrer Einnahme und zweitens von ihrer Ausgabe." Das stimmt auch heute noch..."









Noch wird der Aérotrain von einer Mantelschraube angetrieben. Aber die Planung sieht bereits die Verwendung des leisen Linearmotors vor, der in den USA bei ähnlichen Konstruktionen schon erprobt wird. Dann ist den Kritikern auch der letzte Wind aus den Segeln genommen, weil sie heute noch auf die starke Lärmentwicklung und damit auf die Untauglichkeit für den Intercityverkehr hinweisen. Was die hohen Baukosten für die Betonspur angeht, so kann sich der Schienenzepp ohne weiteres mit der herkömmlichen Eisenbahn messen (s. Bertin-Interview S. 90).






Nun das Interview mit Jean Bertin:




Quelle : hobby vom 16.9.1970, Seite 80 - 91, EHAPA-Verlag Stuttgart