Scheitern



Das Scheitern des Aérotrain Projektes, ein Erklärungsversuch :


Im Frühjahr 1974 wurde ein bereits unterschriebener Vertrag zum Bau einer ersten Anwendungstrecke Cergy - La Defense bei Paris vier Wochen nach Regierungswechsel vom neuen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing annuliert. Bemerkenswert: Denselben hat er einige Wochen vorher als Finanzminister mit unterzeichnet! (Dieses "Vorgehen" bei einem Regierungswechsel kennen wir auch von dem Magnetbahnprojekt Hamburg-Berlin).

Eugene Schneider I
Ein weiteres, vielleicht nicht uninteressantes Detail am Rande:

Valéry Giscard d'Estaing ("VGE") hatte 1952 in die Familie Schneider eingeheiratet, einer großen französischen Stahl- und Lokomotivbauer- Dynastie in Le Creusot / Burgund.


Linkes Bild:

Eugene Schneider I, Ur-Ur- Großvater der Ehefrau von "VGE", Denkmal in Le Creusot, Foto privat.



Weiterführende Links:
  • Lebenslauf von Valéry Giscard D'Estaing unter : VGE in französischer Sprache.

  • Weitere Informationen zur Schneider- Dynastie finden Sie unter : Eugene Schneider I

Nun zurück zum Aérotrain: Es wurden zwar weitere Anwendungstrecken diskutiert, aber die SNCF hatte bereits ihren favorisierten TGV aufs Gleis gebracht.Die Entwicklungskosten des Aérotrain sollen genauso hoch wie die Entwicklungskosten des Bremssystems des TGV gewesen sein. Das Argument der angeblichen Nichtwirtschaftlichkeit als Abbruchsgrund wurde hier zum ersten Mal ohne wirklichen realen Nachweis angewendet.



Nicht Wirtschaftlich ? Ein Erklärungsversuch:

Es sei denn, dass die damals beteiligte Industrie an dem Bau und Verkauf des Systems nicht mehr verdienen konnte, als mit dem Rad/Schiene- System TGV. Der Aérotrain benötigte nur eine einfache Betontrasse ohne Oberleitungen; das Fahrzeug war eine relativ einfache Aluminium- Konstruktion. Der Wertschöpfungsanteil der klassischen französichen Bahnindustrie war bei diesem System wohl sehr gering und deshalb musste wohl das Projekt der Firma Bertin gestoppt werden. Als alleinproduzierende Firma hatte Bertin mit dem Aérotrain auch politisch keine Chance. Für die SNCF war wohl dieses System wohl ein Fremdkörper, ist dieses doch vom Konzept her eher ein Flugzeug als eine klassische Lokomotive alter Tradition.

Der Aérotrain ist nicht an seiner Technik oder Wirtschaftlichkeit gescheitert, (Nachweis der Effektivität konnte natürlich ohne Anwendungsstrecke nicht erbracht werden) sondern an den damaligen massiven Widerständen der ideologischen und technikfeindlichen Kräften in Politik und Gesellschaft.

Auch wird gerne das Scheitern wegen u.a. fehlender Weichen genannt. Auf der Website Aérotrain et Naviplanes wird hierzu unter der 4-Personen Kabinenbahn TRIDIM ein Video von einer Weiche mit Mittenführung gezeigt. Das "Weichenproblem" wurde also schon damals technisch gelöst. Auch wird die zu geringe Tankgröße beim Aerotrain moniert, dabei handelte es sich bei den Fahrzeugen der Erstanwendung im Bereich Nahverkehrssystem um einen Typ ähnlich dem S44 mit einer Maximalgeschwindigkeit von 200km/h. Dieser hatte einen elektrischen Linearmotor als Antrieb an Bord und dieser funktioniert bekanntlich ohne Kerosin. Die Diskussion um die sogenannte Kompatibilität zu den Rad/Schiene- Systemen ist bei genauerer Betrachtung müßig, den jedes Verkehrssystem erfordert nun einmal seinen eigenen Verkehrsweg. Das ist eine selbstverständliche Notwendigkeit und auch so gewollt, um die unterschiedlichen Verkehrsströme entzerren zu können.

Da der Aérotrain von seiner Gesamtkonzeption einem Flugzeug ähnelte, ist der Hinweis auf die fehlende Rückspeisefähigkeit wohl nicht ernst zu nehmen, da zumindest zur Zeit weltweit kein Flugzeugtyp über diese "Eigenschaft" verfügt. Auch Autos, Lastwagen und Schiffe verfügen über keine Rückspeisung der Bremsenergie. Bei Systemen mit Elektroantrieb erfordert die Energierückgewinnung beim Bremsen die doppelte Antriebsauslegung (Anstelle 2 Quadranten-Steller mit Bremswiderständen Aufrüstung auf 4 Quadranten-Steller) und Aufwand mit entsprechendem zusätzlichen Platzbedarf. Die Rückspeisung ist für die grundsätzliche Funktion des Verkehrssystems nur ein "nice to have".

Der höhere Energieverbrauch des Aérotrain I80-HV läßt sich wohl dadurch erklären, dass ein normales Düsentriebwerk für Flugzeuge zum Einsatz kam, dass für Betriebshöhen um die 10.000 m konzipiert wurde und nicht für die Flughöhe "null" verbrauchsoptimiert war. Jean Bertin sah den Einsatz seiner Luftkissentechnik im Geschwindigkeitsbereich von 200 - 300 km/h auf Entfernungen bis ca. 300 km vor. Parallel wurde deshalb von seinem Team an einem leisen elektrischen Linearmotor zum Antreiben seiner Luftkissenfahrzeuge gearbeitet; leider konnten zu dem damaligen Zeitpunkt die notwendigen Leistungshalbleiter seitens der Industrie noch nicht gefertigt und geliefert werden, da das notwendige Know- how noch nicht zur Verfügung stand. Für den Geschwindigkeitsbereich bis 200 km/h konnte Bertin einen leisen, wenn auch nicht sehr starken Linearmotor verwenden. Fahrzeuge der Bauart S44 sollten auf der ersten Anwendungsstrecke Cergy- La Defense mit solch einem Antrieb zum Einsatz kommen.

Die französischen Rad/Schiene-"Hochgeschwindigkeitssysteme" sind in der Regel im Betrieb und in der Wartung/Instandhaltung kostenintensiv. So mußten damals bereits nach 3 Jahren Betrieb mit dem TGV das damalige bis nur lediglich maximal 350 km/h Maximalgeschwindigkeit genutzte Schienennetz erneuert oder instandgesetzt werden. Der Aérotrainfahrweg bei Orléans wurde von 1969 bis 1978 nicht nachgebessert oder repariert. Bei den Schwebesystemen fällt dieser hohe Aufwand, hervorgerufen durch Verschleiß und Abrieb nicht an, deshalb gibt es für die Industrie auch leider nicht viel zu verdienen. Dies ist wohl auch einer der Gründe, weshalb das Aérotrain - System erst über die politische Schiene mit Hilfe von Lobbyisten, dann auch noch physisch und Nachhaltig durch Brandstiftung vernichtet wurde.

Zusammenfassend liegt der Verdacht nahe, dass die drei am Projekt beteiligten "Partner" (u.a. die franz. Eisen- und Stahlindustrie, die SNCF, die franz. Bahnindustrie und die damaligen hohen politischen Entscheidungsträger) den Einsatz des Aérotrains bewusst und mit Absicht erfolgreich verhinderten, um das weitere Geschäft mit dem eigenen TGV nicht zu gefährden.




Einige Bilder von dem ausgeschlachtetem I80-HV um 1988:  (Alle Bilder © Aérotrain et Naviplanes)



Demolierter Fahrerstand Leergeräumte Fahrgastzelle
Demolierter Fahrerstand Leergeräumte Fahrgastzelle

Ausgebaute Sitze  
Ausgebaute und eingelagerte Sitze  

Alle 3 Aufnahmen: © Aérotrain et Naviplanes




Anbei 2 Bilder von den durch Feuer zerstörten Fahrzeugen I80-HV und S44: (Alle Bilder © Aérotrain et Naviplanes)



I80-HV S44
Halle bei Chevilly S44, Hangar in Gometz-la-Ville


Auch der S44 wurde durch Brandstiftung im Juli 1991 zerstört. Da ein neuer Abstellplatz für die Wiederaufarbeitung des Fahrzeuges gesucht wurde, bot das Militär eine Lagerhalle für die Unterstellung auf ihrem Gelände an. Einige Wochen danach wurde jedoch den Aérotrainleuten der Zugang zu ihrem Fahrzeug verweigert. Einige Jahre später wurde der Militärstützpunkt aufgelöst und alle Hallen abgerissen. Dabei hat man auch gleich den S44 mit"entsorgt".

Somit waren die Anwendungnahen Aérotrain-Fahrzeuge S44 und I80 HV aus dem Weg geräumt und stellten keine "Gefahr" mehr für den TGV und die SNCF dar.



Alte Halle in Chevilly Durch den Brand wurde die Halle links ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen, sodass auch sie 1997 abgerissen werden musste.

Wie man oben an der ausgeräumten Fahrgastzelle erkennen kann, gab es dort praktisch nichts mehr, was sich von selbst entzündet haben könnte. Im Tank waren wohl noch um die 100 l Kerosin, welches sich aber nur unter Druck und hoher Temparatur entzünden kann. Somit kann man davon ausgehen, dass besondere radikale "Freunde", wie zuvor den S44, die Reste des Aérotrain I80-HV mit Hilfe von Brandbeschleunigern vernichtet haben.
Fahrzeughalle mit kleiner Werkstatt bei Chevilly